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Welche Erklärung über Aikido könnte besser sein als die Erklärung des Begründers dieser friedfertigen, japanischen Kampfkunst selbst - Morihei Ueshiba. Deshalb war es uns wichtig, diese auch auf unserer Internetseite für alle wirklich Interessierten abzubilden.

O SenseiE

AIKIDO - in O-Sensei´s Worten:

 

Interview mit Ueshiba Morihei und Ueshiba Kisshomaru

Das folgende Interview, geführt von namentlich nicht genannten Journalisten, erschien in "Aikido" von Kisshomaru Ueshiba, Tokyo, 1957, S. 198-219.

Die dieser deutschen Übersetzung zugrunde liegende englische Übersetzung aus dem Japanischen stammt von Stanley Pranin und Katsuaki Terasawa.


A: Als ich Student an der Hochschule war, zeigte mein Philosophieprofessor ein Porträt eines berühmten Philosophen. Jetzt bin ich erstaunt über die Ähnlichkeit mit Ihnen, Sensei.

O-SENSEI: Ach so. Vielleicht hätte ich mich stattdessen mit Philosophie befassen sollen. Meine spirituelle Seite ist stärker betont als meine physische.

B: Es heißt, Aikido unterscheide sich um einiges von Karate und Judo.

O-SENSEI: Meiner Ansicht nach kann es als die wahre Kampfkunst angesehen werden. Der Grund dafür ist, daß es auf einer universellen Wahrheit begründet ist. Das Universum besteht aus vielen verschiedenen Teilen, und trotzdem stellt es in seiner Gesamtheit eine Einheit wie eine Familie dar und symbolisiert einen Zustand vollkommenen Friedens. Indem es diesen Standpunkt gegenüber dem Universum einnimmt, kann Aikido nichts anderes sein als eine Kampfkunst der Liebe. Es kann keine Kampfkunst der Gewalt sein. Aus diesem Grund kann Aikido als eine weitere Manifestation des Schöpfers angesehen werden. Mit anderen Worten: Aikido ist von seiner Natur unermeßlich. Daher werden Himmel und Erde im Aikido zum Übungsboden. Die Geisteshaltung des Aikidoka muß friedlich und vollkommen gewaltfrei sein. Das heißt, die Geisteshaltung, die Gewalt in Harmonie zurückführt. Dieses, so denke ich, ist der wahre Kern japanischer Kampfkünste. Diese Erde ist uns gegeben, um sie in einen Himmel auf Erden zu verwandeln. Kriegerisches Handeln ist vollkommen fehl am Platz.

A: Es unterscheidet sich also wesentlich von traditionellen Kampfkünsten.

O-SENSEI: In der Tat. Wenn man in der Zeit zurückschaut, sieht man, wie die Kampfkünste mißbraucht wurden. Während der Sengoku-Periode (1482-1558 - Sengoku: Kriegführende Länder) verwandten die lokalen Fürsten die Kampfkünste als Werkzeug zur Erfüllung ihrer privaten Interessen und zur Befriedigung ihrer Gier. Das halte ich für völlig unangemessen. Ich selbst habe Kampfkünste gelehrt zu dem Zweck, andere Soldaten im Krieg zu töten. Nach Beendigung des Konfliktes machte mich das sehr betroffen. Dies war die Motivation für mich, den wahren Geist des Aikido zu ergründen, wie es vor sieben Jahren geschah, als für mich die Idee entstand, einen Himmel auf Erden zu schaffen. Der Grund für diesen Entschluß war, daß, obwohl Himmel und Erde (d.h. das physische Universum) einen Zustand der Vollkommenheit erreicht haben und relativ stabil in ihrer Entwicklung sind, die Menschheit (insbesondere das japanische Volk) sich in einem Zustand des Umbruchs zu befinden scheint. Zuallererst verlangt diese Situation nach einer Veränderung. Die Verwirklichung dieser Mission ist der Weg zur Entwicklung einer universellen Menschlichkeit. Als mir dies bewußt wurde, kam ich zu dem Schluß, daß das wahre Aikido Liebe und Harmonie ist. Daher ist das bu im Aikido Ausdruck von Liebe. Ich habe Aikido studiert, um meinem Land zu dienen. Und so kann der Geist des Aikido nur Liebe und Harmonie sein. Aikido wurde geboren im Einklang mit den Prinzipien und dem Wirken des Universums. Deshalb ist es ein budo des absoluten Sieges.

B: Würden Sie uns von den Prinzipien des Aikido berichten? Die Öffentlichkeit betrachtet Aikido als etwas Mystisches, wie ninjutsu, zumal Sie, Sensei, auch gewaltige Gegner blitzschnell bezwingen und in der Lage sind, Objekte von mehreren hundert Pfund Gewicht zu heben.

O-SENSEI: Es scheint nur mystisch zu sein. Im Aikido nutzen wir vollständig die Kraft des Gegners. Je mehr Kraft der Gegner einsetzt, um so einfacher ist es für einen selbst.

B: In diesem Sinne gibt es aiki auch im Judo; denn im Judo paßt man sich dem Rhythmus des Gegners an. Schiebt er so zieht man; zieht er so drückt man. Man bewegt ihn entsprechend diesem Prinzip, nimmt ihm seine Balance und wendet die Technik an.

O-SENSEI: Im Aikido gibt es überhaupt keinen Angriff. Anzugreifen bedeutet, daß der Geist bereits verloren hat. Wir verpflichten uns dem Prinzip des absoluten Nicht-Widerstehens, das heißt, wir stellen uns dem Gegner nicht entgegen. Daher gibt es im Aikido keinen Gegner. Der Sieg im Aikido ist masagatsu und agatsu; da man entsprechend der göttlichen Botschaft über alles siegt, besitzt man absolute Stärke.

B: Bedeutet das go no sen? (Der Ausdruck bezieht sich auf Reaktion und Initiative bei einem Angriff)

O-SENSEI: Absolut nicht. Es ist keine Frage von sensen no sen oder sen no sen. Wenn ich versuchen würde, es in Worte zu fassen, müßte ich sagen: man kontrolliert den Gegner, ohne zu versuchen ihn zu kontrollieren. Das ist der Zustand des fortdauernden Sieges. Es ist keine Frage von Obsiegen oder Unterliegen. In diesem Sinne gibt es im Aikido keinen Gegner. Wenn ein Gegner auftritt, wird er Teil von einem Selbst, ein Partner, der geführt wird.

B: Wie viele Techniken gibt es im Aikido?

O-SENSEI: Es gibt etwa 3000 Grundtechniken, und für jede gibt es 16 Variationen ... das macht also einige Tausend. Abhängig von der Situation erschafft man neue.

A: Wann haben Sie mit dem Studium der Kampfkünste begonnen?

O-SENSEI: Etwa im Alter von 14 bis 15. Zuerst lernte ich Tenshinyo-ryu Jiu-jitsu bei Tozawa Tokusaburo Sensei, dann Kito-ryu, Yagyu-ryu, Aioi-ryu, Shinkage-ryu, die alle Jiu-jitsu Formen sind. Dennoch dachte ich, es müsse eine wahre Form des budo geben. Ich probierte Hozoin-ryu Sojitsu und Kendo. Aber alle diese Künste befassen sich mit reinen Zweikampf-Formen und konnten mich nicht zufrieden stellen. Also besuchte ich viele Teile des Landes auf der Suche nach dem Weg ... aber alles umsonst.

A: Ist dies das asketische Training des Kriegers?

O-SENSEI: Ja, die Suche nach dem wahren budo.Während ich die verschiedenen Schulen besuchte, habe ich niemals den Sensei des Dojo herausgefordert. Ein einzelner, der für ein Dojo verantwortlich ist, ist mit vielen Dingen belastet. Deshalb ist es sehr schwierig für ihn, seine wahren Fähigkeiten zu zeigen. Ich habe ihm meinen Respekt erwiesen und von ihm gelernt. Wenn ich mich ihm überlegen fühlte, habe ich ihm weiterhin meinen Respekt gezeigt und bin nach Hause zurückgekehrt.

B: Dann haben Sie also nicht von Anfang an Aikido gelernt? Wann ist Aikido entstanden?

O-SENSEI: Wie ich schon sagte, besuchte ich viele Orte auf der Suche nach dem wahren budo. Dann mit etwa 30 Jahren ließ ich mich in Hokkaido nieder. Als ich mich einmal im Hisada Gasthaus in Engaru in der Provinz Kitami aufhielt, begegnete ich einem gewissen Takeda Sokaku Sensei vom Aizu Clan. Er lehrte Daito-ryu Jiujitsu. Während der 30 Tage, die ich bei ihm lernte, spürte ich so etwas wie eine Inspiration. Später lud ich diesen Lehrer zu mir nach Hause ein und wurde zusammen mit etwa 15 meiner Angestellten sein Schüler auf der Suche nach der Essenz des budo.

B: Haben Sie Aikido entdeckt, während Sie Daito-ryu unter Takeda Sokaku lernten?

O-SENSEI: Nein. Es ist zutreffender zu sagen, daß Takeda Sensei meine Augen für budo geöffnet hat.

A: Gab es denn spezielle Umstände, die bei der Entstehung des Aikido eine Rolle spielten?

O-SENSEI: Ja. Es geschah folgendermaßen. 1918 wurde mein Vater schwer krank. Ich bat Takeda Sensei um Entlassung und machte mich auf den Weg nach Hause. Unterwegs erfuhr ich, daß jegliche Krankheit geheilt würde, wenn man nach Ayabe bei Kyoto reist und ein Gebet opfert. Also ging ich dort hin und traf mit Deguchi Onisaburo zusammen. Als ich anschließend zuhause ankam, erfuhr ich, daß mein Vater bereits gestorben war. Obwohl ich Deguchi nur einmal begegnet war, beschloß ich mit meiner Familie nach Ayabe zu ziehen, wo ich bis zum Ende der Taisho Periode (um 1925) blieb. Ja ... zu der Zeit war ich etwa 40 Jahre alt. Eines Tages trocknete ich mich gerade beim Brunnen ab, als plötzlich eine Kaskade blendender goldener Blitze vom Himmel kam und meinen Körper einhüllte. Mit einemmal wuchs mein Körper und wuchs, bis er die Größe des gesamten Universums einnahm. Während ich noch überwältigt von dieser Erfahrung war, wurde mir schlagartig klar, daß man nicht daran denken soll zu versuchen einen Sieg zu erringen. Die Form von budo muß Liebe sein. In Liebe soll man leben. Dies ist Aikido und dies ist die alte Form der Haltung in Kenjitsu. Nach dieser Erkenntnis war ich außer mir vor Freude und konnte die Tränen nicht zurückhalten.

B: Dann ist es im budo also nicht gut Stärke zu zeigen. Seit alten Zeiten wurde die Einheit von "ken" und "zen" gelehrt. In der Tat kann man die Essenz des budo nicht verstehen, wenn man nicht seinen Geist entleert. In diesem Zustand haben richtig und falsch keine Bedeutung.

O-SENSEI: Wie ich bereits sagte, ist die Essenz des budo der Weg von masakatsu und agatsu.

B: Ich habe eine Geschichte gehört, wie Sie in eine Auseinandersetzung mit etwa 150 Arbeitern verwickelt waren.

O-SENSEI: War ich das? Ich habe es so in Erinnerung ... 1924 machte sich Deguchi Sensei auf in die Mongolei mit dem Ziel eine größere asiatische Gemeinschaft zu errichten entsprechend der politischen Linie. Auf seine Bitte hin begleitete ich ihn, obwohl ich auch eine Aufforderung zum Militär erhalten hatte. Wir bereisten die Mongolei und die Mandschurei, wobei wir im letztgenannten Land auf eine Gruppe berittener Banditen stießen und eine heftige Schießerei ausbrach. Ich erwiderte ihr Feuer und rannte mitten zwischen die Banditen. Ich griff mit aller Heftigkeit an, und sie zerstreuten sich, so daß ich der Gefahr erfolgreich entkam.

A: Wie ich sehe, verbindet Sie viel mit der Mandschurei, Sensei. Haben Sie lange Zeit dort verbracht?

O-SENSEI: Seit diesem Zwischenfall bin ich sehr oft in der Mandschurei gewesen. Ich war Berater für Kampfkünste für die Shimbuden Organisation und für die Kenkyoku Universität in der Mongolei. Daher war ich dort immer gut aufgenommen.

B: Hino Ashihei schrieb die Geschichte "Oja no Za" im Shosetsu Shincho. Darin beschreibt er die Jugendzeit des Tenryu Saburo, eines Rebellen der Sumo-Welt, und seine Begegnung mit der Kampfkunst Aikido und ihrem wahren Geist. Bezieht sich das auch auf Sie, Sensei?

O-SENSEI: Ja.

B: Bedeutet das dann, daß Sie eine Zeit lang näher mit Tenryu zu tun hatten?

O-SENSEI: Ja. Er lebte für etwa drei Monate in meinem Haus.

B: War das in der Mandschurei?

O-SENSEI: Ja. Ich begegnete ihm als wir gerade unsere Runden machten nach einer Feier anläßlich des 10. Jahrestages der Einsetzung der Mandschurischen Regierung. Da war dieser gutaussehende Mann auf der Party, und einige Leute redeten auf ihn ein mit Bemerkungen wie "Dieser Sensei hat ungeheure Kräfte. Wollen Sie sich nicht mit ihm messen?" Ich fragte jemanden neben mir, wer dieser Mann war. Ich erhielt zur Antwort, daß er der berühmte Tenryu war, der sich aus der Sumo-Ringer Vereinigung zurückgezogen hatte. Dann wurde ich ihm vorgestellt. Schließlich kam es tatsächlich zu einem Kräftemessen zwischen uns. Ich setzte mich und sagte zu Tenryu: "Bitte versuchen Sie, mich umzustoßen. Drücken Sie kräftig, es gibt keinen Grund sich zurückzuhalten." Da ich das Geheimnis von Aikido kannte, war ich keinen Zentimeter zu bewegen. Sogar Tenryu schien darüber erstaunt zu sein. Aufgrund dieses Erlebnisses wurde er Aikido-Schüler. Er war ein guter Mann.

A: Hatten Sie auch mit der Marine zu tun, Sensei?

O-SENSEI: Ja, eine ganze Weile. Angefangen 1927 oder 1928 war ich etwa 10 Jahre lang Teilzeit-Professor an der Marine-Akademie.

B: Haben Sie Soldaten unterrichtet während Ihrer Lehrtätigkeit an der Marine-Akademie?

O-SENSEI: Ich habe ziemlich häufig Militärs unterrichtet, angefangen 1927-28 bei der Marine-Akademie. Um 1932-33 begann ich mit Kampfkunst-Unterricht für das Militär an der Toyama Schule. Dann, 1941-42, unterrichtete ich Studenten der Militärpolizei-Akademie in Aikido. Bei einer Gelegenheit gab ich eine Aikido-Demonstration auf Einladung von General Toshie Maeda, dem Superintendenten der Militär-Akademie.

B: Wenn Sie so intensiv mit dem Unterricht von Soldaten befaßt waren, müssen doch auch eine Menge grobe Kerle dabei gewesen sein und es muß zu einigen Zwischenfällen gekommen sein.

O-SENSEI: Ja. Einmal bin ich sogar überfallen worden.

B: War es, weil man Sie als Lehrer für arrogant hielt?

O-SENSEI: Nein, das war nicht der Grund. Es geschah um meine Stärke zu testen. ... Ich hatte gerade begonnen, Aikido bei der Militärpolizei zu unterrichten. Eines Abends, als ich auf dem Übungsgelände spazierenging, spürte ich, daß etwas eigenartiges vorging. Plötzlich sprangen von allen Seiten Soldaten hervor, hinter Büschen und aus Gruben, und umringten mich. Sie griffen mich mit hölzernen Schwertern und Flinten an. Da ich in diesen Dingen geübt war, machte es mir nichts aus. Als Sie versuchten, nach mir zu schlagen, drehte ich meinen Körper hierhin und dorthin, und sie fielen alle mit einem leichten Schubs. Am Ende waren sie völlig erschöpft. Auf jeden Fall ist die Welt voller Überraschungen. Neulich traf ich einen der Männer, die mich angegriffen hatten. Ich bin Berater für die Militärpolizei Alumnae in der Wakayama Präfektur. Bei einer kürzlichen Zusammenkunft erkannte einer der Anwesenden mein Gesicht und kam grinsend auf mich zu. Nachdem wir ein paar Minuten miteinander gesprochen hatten, erfuhr ich, daß er einer jener Männer war, die mich an jenem Tag vor vielen Jahren angegriffen hatten. Er kratzte sich vor Verlegenheit am Kopf, während er mir folgendes anvertraute: "Dieser Zwischenfall tut mir sehr leid. Wir hatten an diesem Tag viel darüber geredet, ob unser neuer Aikido- Professor wirklich stark sei. Eine Gruppe von uns, hitzige Militärpolizei-Kerle, diskutierten die Angelegenheit und beschlossen, unseren neuen Lehrer zu testen. Wir lagen zu ungefähr 30 im Hinterhalt. Wir waren völlig verblüfft, daß wir 30 selbstbewußte Männer nichts gegen Ihre Stärke ausrichten konnten."

C: Gab es irgendwelche Zwischenfälle während Ihrer Zeit an der Toyama Schule?

O-SENSEI: Im Sinne von Kräftemessen? ... Zu einem Zwischenfall kam es, glaube ich, vor der Episode mit der Militärpolizei. Einige Offiziere, die an der Toyama Schule unterrichteten, luden mich ein, meine Stärke mit der ihren zu messen. Sie alle brüsteten sich mit ihren Fähigkeiten, wie etwa "Ich habe ein Gewicht von der-und-der Masse gehoben", oder "ich habe einen Holzscheit von dem-und-dem Durchmesser zerbrochen" - ich sagte zu ihnen: "Ich habe nicht Ihre Stärke, aber ich kann Leute wie Sie allein mit meinem kleinen Finger niederwerfen. Es täte mir leid, Sie zu werfen. Lassen Sie uns stattdessen folgendes tun." Ich streckte meinen rechten Arm aus, legte die Spitze meines Zeigefingers auf die Kante eines Tisches und forderte sie auf, sich bäuchlings über meinen Arm zu legen. Zuerst einer, dann zwei, dann drei Männer legten sich über meinen Arm, und inzwischen machten alle große Augen. Das ging so, bis sechs Männer auf meinem Arm lagen, und ich bat den Offizier neben mir um ein Glas Wasser. Während ich mit links das Wasser trank, waren alle still und tauschten erstaunte Blicke aus.

B: Abgesehen von Aikido müssen Sie ungeheure körperliche Kräfte besitzen.

O-SENSEI: Nicht wirklich.

KISSHOMARU UESHIBA: Natürlich besitzt er große Kraft, aber man bezeichnet es besser als die Kraft des Ki statt als Körperkraft. Vor einigen Jahren, als wir zu einer neuen Siedlung auf dem Land reisten, sahen wir sieben oder acht Arbeiter, die vergeblich versuchten, einen großen Baumstumpf zu bewegen. Mein Vater stand eine Weile da und schaute ihnen zu. Dann bat er Sie, zur Seite zu gehen, damit er es auch versuchen konnte. Er hob den Baumstumpf mit Leichtigkeit hoch und trug ihn fort. Es ist vollkommen unbegreiflich, wie man so etwas mit bloßer Muskelkraft tun sollte. Darüberhinaus gab es noch diesen Zwischenfall mit einem gewissen Mihamahiro.

B: War das derselbe Mihamahiro von der Takasago Beya Sumo Wrestling Association?

O-SENSEI: Ja. Er stammte aus der Kishu Provinz. Als ich in Shingu in Wakayama lebte, war Mihamahiro in den Reihen der Sumo gut angesehen. Er hatte gewaltige Kräfte und konnte Gewichte von mehreren hundert Pfund heben. Als ich erfuhr, daß Mihamahiro sich in der Stadt aufhielt, lud ich ihn ein. Als wir uns unterhielten sagte Mihamahiro: "Ich habe auch gehört, daß Sie, Sensei, große Stärke besitzen. Warum messen wir nicht unsere Kräfte?" - "Also gut dann. Ich kann Sie alleine mit meinem Zeigefinger festhalten," antwortete ich. Dann ließ ich ihn versuchen, mich umzuschieben, während ich saß. Dieser Mensch, der in der Lage war, gewaltige Gewichte zu heben, keuchte und schnaufte, aber er konnte mich nicht umstoßen. Daraufhin lenkte ich seine Kraft um weg von mir, und er flog im hohen Bogen. Als er fiel, benutzte ich meinen Zeigefinger, um ihn am Boden festzuhalten, wo er bewegungsunfähig liegen blieb. Es war, als würde ein Erwachsener ein Baby festhalten. Dann schlug ich vor, daß er es nochmal probieren sollte, und ließ ihn gegen meine Stirn drücken. Aber auch diesmal konnte er mich nicht bewegen. Schließlich streckte ich meine Beine aus, fand mein Gleichgewicht ohne Kontakt meiner Beine zum Boden und ließ ihn gegen mich drücken. Aber er konnte mich wiederum nicht bewegen. Er war sehr erstaunt und begann mit dem Studium von Aikido.

A: Wenn Sie sagen, Sie halten eine Person mit nur einem Finger fest, drücken Sie dann auf einen vitalen Punkt?

O-SENSEI: Ich ziehe einen Kreis um ihn herum. Seine Kraft wird in diesem Kreis festgehalten. Egal wie stark ein Mann auch sein mag, er kann seine Kraft nicht über diesen Kreis hinaus ausdehnen. Er wird machtlos. Wenn man also einen Gegner festhält und sich außerhalb seines Kreises befindet, kann man ihn mit dem Zeigefinger oder sogar mit dem kleinen Finger halten. Das ist deshalb möglich, weil der Gegner schon machtlos geworden ist.

B: Es ist also wieder eine Frage der Physik. Im Judo ist es auch so, wenn man einen Gegner wirft oder festhält, bringt man sich in dieselbe Position. Man bewegt sich auf verschiedene Arten im Judo und versucht den Gegner in eine solche Position zu bringen.

A: Stammt Ihre Ehefrau ebenfalls aus der Wakayama Präfektur?

O-SENSEI: Ja. Ihr Mädchenname in Wakayama war Takeda.

A: Die Takeda-Familie ist eng mit den Kampfkünsten verbunden.

O-SENSEI: Das kann man sagen. Meine Familie ist dem Kaiserhaus gegenüber seit Generationen loyal und aufrichtig ergeben. Tatsächlich haben meine Vorfahren Hab und Gut aufgegeben und sich in den Dienst der Kaiserlichen Familie gestellt.

B: Da Sie, Sensei, auch sehr viel herumgereist sind, seit Sie ein junger Mann waren, muß es für Ihre Ehefrau nicht leicht gewesen sein.

O-SENSEI: Da ich sehr beschäftigt war, hatte ich nicht viel freie Zeit, die ich zuhause verbringen konnte.

KISSHOMARU UESHIBA: Da die Familie meines Vaters recht wohlhabend war, war er in der Lage budo shugyo (asketisches Training der Kampfkünste) zu verfolgen. Auf der anderen Seite hat sich mein Vater nie viel um Geld geschert. Bei einer Gelegenheit geschah einmal folgendes. Als mein Vater sich 1926 in Tokyo niederließ, es war sein zweiter Besuch der Hauptstadt, kam er zunächst allein und die Familie folgte ihm 1927 von Tanabe nach. Der Ort wo wir uns niederließen war bei Sarumachi, Shibashirogane in Tokyo. Wir mieteten diesen Wohnsitz mit Unterstützung von Herrn Kiyoshi Yamamoto, einem Sohn von General Gambei Yamamoto. Zu dieser Zeit gehörte meinem Vater ein recht großer Besitz um Tanabe, einschließlich sowohl kultivierter als auch nicht bestellter Felder und gebirgigem Gelände. Aber er besaß wenig Barvermögen. Um zurecht zu kommen mußte er sich Geld leihen. Trotzdem kam es ihm nie in den Sinn, Land zu verkaufen. Nicht nur das. Wenn seine Schüler ihm monatlich Spenden brachten, antwortete er: "Ich will so etwas nicht." Er sagte ihnen, sie sollten es den kami-sama (Gottheiten) opfern. Geld nahm er nie direkt an. Wenn er in Geldnöten war, begab er sich demütig zum Altar der kami-sama und empfing Geschenke der Gottheit. Wir dachten nie daran Geld für budo zu berechnen. Zu der Zeit war der Trainingsraum das Billiard-Zimmer im Hause des Grafen Shimazu. Viele Würdenträger, einschließlich Militäroffiziere wie Admiral Isamu Takeshita und viele Aristokraten, kamen zum üben. Der Name, den wir verwendeten, war Aikijujitsu oder Ueshiba-ryu Aikijitsu.

B: Welches ist das geeignete Alter um mit Aikido-Training zu beginnen?

KISSHOMARU UESHIBA: Man kann im Alter von 7 oder 8 mit Aikido beginnen, aber idealerweise sollte das ernsthafte Training mit 15 oder 16 beginnen. In diesem Alter werden die Knochen und der gesamte Körper physisch kräftiger. Daneben enthält Aikido eine Reihe spiritueller Aspekte (wie andere Formen des budo auch), und in diesem Alter fängt man an eine eigene Sicht der Welt und der Natur des budo zu entwickeln. Von daher ist alles in allem 15 bis 16 ein gutes Alter um mit dem Studium des Aikido zu beginnen.

B: Verglichen mit Judo kommt es im Aikido nur selten zu einem wirklichen Handgemenge mit dem Gegner. Daher braucht man nicht so viel Körperkraft im Aikido. Zusätzlich kann man nicht nur mit einem, sondern auch mit mehreren Gegnern gleichzeitig umgehen. Das ist wirklich ideal für budo. Gibt es, was das angeht, viele rüpelhafte Typen, die Aikido lernen wollen?

KISSHOMARU UESHIBA: Natürlich melden sich auch solche Individuen an. Aber wenn solche Personen Aikido studieren, um es als ein Mittel zum Kämpfen zu benutzen, dann bleiben sie nicht lange. Budo ist nicht wie Tanzen oder Kino. Man muß immer und zu allen Zeiten des täglichen Lebens üben, um Fortschritte zu machen. Genaugenommen ist Aikido ein Training des Geistes, das praktiziert wird, indem man eine budo Form anwendet. Es läßt sich nicht zum Werkzeug kultivieren, von denjenigen, die es allein zum Kampf nutzen wollen. Darüberhinaus legen Menschen, die ursprünglich der Gewalt zuneigen, diese Haltung durch das Aikido-Training ab.

B: Ich verstehe ... durch kontinuierliches Training hören sie auf, sich wie Rüpel zu benehmen.

O-SENSEI: Da Aikido keine Kampf-Methode der Gewalt, sondern eher eine Kampfkunst der Liebe ist, verhält man sich nicht gewalttätig. Man verwandelt einen gewalttätigen Gegner auf sanfte Weise. Er kann sich nicht länger wie ein Rüpel verhalten.

B: Ich verstehe. Gewalt wird nicht durch Gewalt kontrolliert, sondern in Liebe umgewandelt.

A: Was lehren Sie zuerst als Grundlagen des Aikido? Im Judo lernt man zuerst ukemi (Fallen) ...

KISSHOMARU UESHIBA: Zuerst Körperbewegungen (taisabaki), dann Ki-Fluß ...

A: Was ist Ki-Fluß?

KISSHOMARU UESHIBA: Im Aikido üben wir beständig, das Ki des Partners frei zu führen durch die Bewegung unseres eigenen Ki, indem wir den Partner in unsere eigene Bewegung hineinziehen. Als nächstes üben wir, unseren Körper zu drehen. Man bewegt nicht nur den Rumpf, sondern Arme und Beine zusammen. Dann wird der gesamte Körper eins und bewegt sich leicht und fließend.

B: Wenn man bei Aikido zuschaut, scheinen die Schüler ganz natürlich zu fallen. Welche Übungen machen Sie für das ukemi?

KISSHOMARU UESHIBA: Im Gegensatz zum Judo, wo man sich gegenseitig packt, hält man im Aikido fast immer einen gewissen Abstand. In der Folge ist eine freiere Art von ukemi möglich. Anstatt wie im Judo mit einem Plumps zu fallen, praktizieren wir eine sehr natürliche Form von ukemi in einem Kreisbogen. Diese vier Elemente üben wir sehr sorgfältig.

B: Sie praktizieren also tai no sabaki (Körperbewegungen), ki no nagare (Ki-Fluß), tai no tenkan ho (Körper-Drehung), ukemi, und beginnen dann mit dem Üben der Techniken. Welche Art von Technik lehren Sie zuerst?

KISSHOMARU UESHIBA: Shiho-nage, eine Technik, bei der man einen Gegner in viele verschiedene Richtungen wirft. Dies wird auf gleiche Weise gemacht wie die Schwert-Technik. Natürlich üben wir auch mit bokken. Wie ich schon sagte, wird der Gegner im Aikido Teil der eigenen Bewegung. Ich kann den Gegner frei und nach Belieben bewegen. Wenn man mit irgendeinem Gegenstand trainiert, wie etwa einem Stock oder einem Holzschwert, ergibt es sich ganz natürlich, daß es wie ein Arm oder ein Bein Teil von einem selbst wird. Was man in der Hand hält, ist im Aikido daher nicht mehr nur ein Objekt. Es wird zur Verlängerung des eigenen Körpers. Das nächste ist Irimi-nage. Bei dieser Technik geht man in dem Augenblick vorwärts, wenn der Gegner zuschlagen will. In dem Moment bringt man zwei oder drei atemi an. Der Gegner schlägt zB mit der Faust oder der Schwerthand (tegatana) seitlich gegen den Kopf. Indem man die Kraft des Gegners nutzt, öffnet man den eigenen Körper nach hinten, führt die rechte Hand des Gegners mit den ausgestreckten Händen und führt so die Richtung seiner Bewegung weiter. Dann hält man die Hand des Gegners und führt sie im Kreis um seinen Kopf. Er fällt dann mit seiner Hand um seinen Kopf ... Auch das ist Ki-Fluß ... Es gibt verschiedene Theorien zu diesem Punkt. Der Gegner wird seiner Kraft vollkommen beraubt, oder besser, seine Kraft wird in die Richtung umgelenkt, in die man ihn bewegen will. Je mehr Kraft der Gegner hat, umso leichter wird es also für einen selbst. Auf der anderen Seite, wenn man es zu einem Zusammenstoß mit der Kraft des Gegners kommen läßt, kann man niemals hoffen, gegen einen sehr starken Menschen siegreich zu sein.

O-SENSEI: Im Aikido geht man auch niemals gegen die Kraft eines Angreifers. Wenn er mit einem Schwerthieb oder -stoß angreift, gibt es im wesentlichen eine Linie und einen Punkt des Angriffs. Alles was man tun muß ist, diese zu vermeiden.

KISSHOMARU UESHIBA: Als nächstes kommen folgende Techniken: ikkyo im Sitzen aus shomenuchi, nikyo, dann Gelenk- und Haltetechniken, und so fort ...

B: Aikido beinhaltet viele spirituelle Elemente. Wie lange benötigt man ganz von Anfang an, um ein grundlegendes Verständnis von Aikido zu erlangen?

KISSHOMARU UESHIBA: Da es sowohl koordinierte als auch unkoordinierte Menschen gibt, kann man hier keine allgemeine Aussage machen. Aber wenn jemand für etwa drei Monate übt, kommt er zu einem ersten Verständnis, was Aikido ist. Wer drei Monate Training hinter sich gebracht hat, wird auch sechs Monate trainieren. Wenn man sechs Monate trainiert hat, kann man für unbegrenzte Zeit weitermachen. Wer nur ein oberflächliches Interesse hat, wird vor Ende der drei Monate aufgeben.

B: Wie ich erfahren habe, wird es eine shodan Prüfung am 28. dieses Monats geben. Wie viele Schwarzgurt-Träger gibt es zur Zeit?

KISSHOMARU UESHIBA: Der höchste Rang ist 8. Grad, davon gibt es vier. Es gibt sechs 7. Grad Schwarzgurtträger. Die Träger des 1. Grades sind natürlich sehr zahlreich. Aber das bezieht sich natürlich nur auf diejenigen, die nach dem Krieg Kontakt zum Hombu Dojo gehalten haben.

B: Soviel ich weiß, gibt es eine erhebliche Zahl von Menschen in anderen Ländern, die Aikido lernen.

KISSHOMARU UESHIBA: Herr Tohei besuchte Hawaii und die Vereinigten Staaten mit der Absicht, Aikido zu unterrichten. Am verbreitetsten ist Aikido in Hawaii, wo es zur Zeit 1200 bis 1300 Übende gibt. Diese Zahl für Hawaii würde etwa 70.000 oder 80.000 Aikidoka in Tokyo entsprechen. In Frankreich gibt es ebenfalls eine Reihe Schwarzgurte. Es gibt einen Franzosen, der begann Aikido zu studieren, nachdem er sich beim Judo eine Verletzung zugezogen hatte. Er wollte den Geist des Aikido erfahren, wozu er in Frankreich keine Möglichkeit sah. Er spürte, daß er zum Ursprungsort der Kunst gehen mußte, um den wahren Geist des Aikido zu suchen. Er erklärte, daß er aus diesem Grund nach Japan gekommen sei. Der Botschafter von Panama lernt ebenfalls Aikido, aber anscheinend ist das Klima in Japan zu kalt für ihn, und er übt nicht im Winter. Es gibt auch eine Dame namens Onada Haru, die nach Rom ging, um Bildhauerei zu studieren. Seit der Zeit, als sie noch Studentin an der Schule der Schönen Künste in Tokyo war, pflegte sie zum Dojo kommen. Erst kürzlich habe ich einen Brief von ihr erhalten, worin sie mitteilt, daß sie einem Italiener begegnet ist, der Aikido praktiziert, und der sie sehr gut behandelt hat.

A: Und wie ist es mit der Interpretation der Aikido Techniken?

O-SENSEI: Die wesentlichen Punkte sind masakatsu, agatsu, und katsuhayai. Wie ich zuvor sagte bedeutet masakatsu "korrekter Sieg" und agatsu "Siegen im Einklang mit der göttlichen Botschaft, die einem gegeben ist". Katsuhayai bedeutet "der Geisteszustand des jähen Sieges".

A: Der Pfad ist lang, nicht wahr?

O-SENSEI: Der Aiki-Pfad ist unendlich. Ich bin jetzt 76 Jahre alt und bin immer noch auf der Suche. Es ist keine leichte Aufgabe, den Pfad im budo oder in den Künsten zu meistern. Im Aikido muß man jedes Phänomen im Universum verstehen. Zum Beispiel die Rotation der Erde und das komplexeste und weitest reichende System des Universums. Es ist ein lebenslanges Üben.

B: Demnach besteht aiki aus den Lehren der Götter (kami) ebenso wie der kriegerische Weg. Was ist dann der Geist des Aikido?

O-SENSEI: Aikido ist ai (Liebe). Du machst diese große Liebe des Universums zu deinem Herzen, und dann mußt du den Schutz und die Liebe aller Dinge zu deiner Aufgabe machen. Die Erfüllung dieser Aufgabe muß das wahre budo sein. Wahres budo bedeutet Sieg über sich selbst und Ausmerzung des kämpferischen Herzens des Feindes ... Nein, es ist eine Weise der absoluten Selbstvervollkommnung in der die Idee des Feindes ausgelöscht wird. Die Technik des aiki ist asketisches Training und ein Weg durch den man einen Zustand der Vereinigung von Körper und Geist erreicht durch die Verwirklichung des himmlischen Prinzips.

B: Dann ist also aiki der Weg zum Weltfrieden?

O-SENSEI: Das grundlegende Ziel von aiki ist die Schaffung des Himmels auf Erden. In jedem Fall muß die gesamte Welt zur Harmonie finden. Dann brauchen wir keine Atombomben oder Wasserstoffbomben. Es kann eine schöne und glückliche Welt sein.

Übersetzung Karl Breuer

 

Herzlichen Dank für deine freundliche Genehmigung Karl.