Eine weitere wichtige Übungswaffe im Aikido ist der Jo.
Ein Jō (jap. 杖) ist ein runder, aus hartem Holz (in der Regel weiße Eiche) gefertigter Stock, der in einigen japanischen Kampfkünsten, wie dem Jodo und dem Aikido benutzt wird.
Der Jō ist kürzer als der Bo (=Langstock, ca. 182cm) und länger als der Hanbo (=„Halb-Stock“ ca. 80 – 100cm). Die Länge eines Jō ist im Jōdō mit 127,6 cm definiert (4 shaku, 2 sun, 1 bu), bei einem Durchmesser von 8 bu (24,2 mm). Der Jō ist damit ca. 20-30 cm länger als das Katana. Gebräuchlich sind in den verschiedenen Stilrichtungen außerhalb des Jōdō (in der Blütezeit etwa 70), Längen zwischen 120 cm und 145 cm bei Durchmessern von 25 - 28 mm.
Als Erfinder des Jō gilt Musó Gonnosuke Katsuyoshi 夢想 權之助 勝吉, ein Samurai, der um 1605 "Shinto Muso-Ryu Jojutsu 神道夢想流 " und somit die spätere Kampfkunst Jōdō 杖道 entwickelte. Im Gegensatz zu den Kobudo-Waffen (wie Bo, Sai und Tonfa) ist der Jō nicht als Waffe der Bauernschaft entstanden, sondern eine echte Samuraiwaffe, deren Gebrauch in formellen Kampfkunstschulen (Koryu) gelehrt wurde.
Zur Entstehungsgeschichte des Jo gibt es trotzdem zwei unterschiedliche Auffassungen.
Die Erste basiert auf einer Legende, der zufolge der Samurai Muso Gonnosuke Katsuyoshi 夢想 權之助 勝吉, der nachweislich aus vielen Duellen unbesiegt hervorging, um das Jahr 1600 auf den wohl besten und berühmtesten Schwertmeister ganz Japans, Myamoto Musashi 宮本 武蔵 , traf. Dieser war im ganzen Land und wohl auch über die Grenzen hinaus bekannt für seine Zwei-Schwerter-Technik (mit Wakizashi und Katana / Kurz- u, Langschwert), genannt Niten-Ichiryú 二天一流 , was soviel bedeutet wie: „Zwei-Himmel-ein(-Stil)-Schule“. Und dies bis heute. Jedenfalls ging Gonnosuke aus diesem Zweikampf nicht als Sieger hervor. Wutentbrannt, zwar mit dem Leben davon gekommen, allerdings durch die Niederlage gebrochen, ging er ins Exil und nach einer gewissen Zeit der völligen Einsamkeit hatte er wohl eine zündende Idee. Diese bestand darin, dass ihm der Bo als zu lang und dadurch unhandlich erschien, er hatte zwar eine sichere Distanz zum Gegner, war aber durch die Länge auch sehr festgelegt in seiner Bewegungsvielfalt, also kürzte er diesen kurzerhand auf seine Achselhöhe und es entstand daraus der Jo. Mit dem man blitzschnell die Seiten wechseln und beidseitig agieren konnte. Er vereinte die Möglichkeiten der Speer-Stoßtechniken, die Schlagbewegungen des Bo und auch die kreisrunden Lanzenschwünge. Mit dieser neuen Waffe trainierte er fortan im Wald wie ein Besessener. Er nannte seine Kunst später Jo-Jutsu (in Aufzeichnungen heisst die korrekte Bezeichnung "Shinto Muso-Ryu Jojutsu"). Nach längerer Zeit des Übens gab es eine zweite, schicksalhafte Begegnung mit Musashi, und in diesem zweiten Duell soll Gonnosuke dem Schwertmeister Musashi die einzige Niederlage zeitlebens beigebracht haben. Mit dem Jo gegen die beiden scharfen Schwerter von Musashi. Eine schier unglaubliche Leistung. So geht es jedenfalls aus den Aufzeichnungen in Gon’nosuke’s Schule hervor. Lt. den Aufzeichnungen in Musashi´s Schule endete es unentschieden. So oder so, durch seinen Wechsel von einem Schwert zu einem Stock eignete er sich die Fähigkeiten an um Musashi die Stirn zu bieten. Der Rest ist Legende.
Nach der zweiten Auffassung ist der Jo keine Samuraiwaffe, sondern ein Wanderstock den die Mönche, Pilger u. Wanderer benutzten. Hieraus wurden spezielle Formen entwickelt um Angriffe mit dem Schwert abzuwenden.
Allerdings ist hier nicht ganz klar, wer denn diese komplexen Techniken dann genau entwickelt haben soll?
Unserer Auffassung nach konnte solche Techniken nur ein gut ausgebildeter Samurai entwickeln, der sich sehr genau mit der Handhabung des Katana auskannte.
Warum O-Sensei in seinem Aikido den Jo eingebaut hat ist nicht ganz klar. Lt. Edmund Kern Sensei und seinen Gesprächen mit Morihiro Saito Sensei, seinem Lehrer, gibt es hierzu von O-Sensei keine eindeutigen Aussagen von ihm. Man könnte jedoch in einer der Analogien eine Erklärung hierzu finden und interpretieren. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte er sich nämlich sehr intensiv mit dem späteren "Jukendo" beschäftigt (der Abwehr eines Gegners mit Gewehr u. aufgepflanztem Bajonett). Nach dem zweiten Weltkrieg war das allgemein nicht mehr angesagt und so wurde wahrscheinlich von ihm der Jo als Ersatz eingesetzt.
Und hier gibt es zwischen der eigenen Kampfkunst Jodo und Aiki-jo ebenfalls sehr klare Differenzen in der Handhabung und gesamten Technikausführung. Jodo und Aiki-jo ist also bei Weitem nicht das Gleiche.
Beim Jodo verteidigt man sich ausschließlich gegen ein angreifendes Schwert. Alle Techniken zielen exakt darauf ab.
Bei Aiki-jo gibt es sowohl Techniken (und auch Katas) Jo gegen Schwert (Ken-Tai-Jo) und auch Jo gegen Jo (Kumi-jo). Und beim Üben im Aikido (Taijutsu) natürlich auch Jo-dori (leere Hand gegen Angriff mit dem Jo) und Jo-nage (das Führen eines Angreifers mit meinem Jo).
Das Charakteristikum des Jo ist die Flexibilität. Es ist möglich mit beiden Enden zu arbeiten und die Position ist ebenfalls zweiseitig. Aufgrund der Länge des Jo, ergibt sich beim Einsatz ebenfalls eine andere Distanz zum Partner. Diese spezifischen Gegebenheiten führen dazu, dass der Technikpart um ein vielfaches größer ist, als beim Schwert.
Entwicklung von Aiki-jo
Der größte Teil des Lehrstoffes wurde von Morihei Ueshiba (植芝盛平 Ueshiba Morihei, 1883–1969) in seinem Dojo in Iwama, Japan, entwickelt. In der gleichen Zeit entwickelte er auch das Schwerttraining (genannt Aiki-ken). Es ist belegt, dass O-Sensei etliche verschiedene Arten von Kampfkünsten studierte, einschließlich der Kunst des Speeres (sojutsu). Die Aiki-jo Techniken die von O-Sensei gezeigt wurden, waren eine Destillation und Modifikation dieses, seines vorherigen Trainings mit Schwerpunkt darauf, den Jo zu nutzen um dadurch die Taijutsu-Techniken (= Aikido nur mit dem Körper/ Aikido-Techniken mit bloßen Händen) zu verbessern und zu verfeinern. Viele Übende traditioneller, japanischer Kampfkünste merkten an, dass Aiki-jo Techniken mehr Ähnlichkeit mit Jukendo (Bajonettkampf mit dem sich O-Sensei sehr intensiv während des 2. Weltkriegs beschäftigte) aufweist, als mit traditionellen Speer u. Stab-Systemen.
Die meisten Übungen des Aiki-jo Trainings wurden jedoch letztendlich nicht von O Sensei systematisiert sondern von Morihiro Saito Sensei (斉藤守弘 Saitō Morihiro, 1928–2002), einem von O-Sensei´s hingebungsvollsten und längsten direkten Schülern, dem O-Sensei nach seinem Tod sein Dojo in Iwama anvertraut hat. Gleichzeitig erwählte er ihn zum Wächter des Aiki-Schreins.
Die Art von Saitos Aikido wird als Iwama Ryu bezeichnet und weist einen erheblichen Anteil an Waffentraining auf. Die ersten Aiki-jo Techniken wurden von Saito Sensei 1973 veröffentlicht.
Man sollte allerdings beachten, dass Aiki-jo nicht überall gleich geübt wird. Einige Aikidoschulen integrieren Waffentraining welches keinerlei Bezug hat zum eigentlichen Aiki-jo von O-Sensei, welches durch Saito Sensei „katalogisiert“ und bewahrt wurde. Und wiederum Andere verzichten sogar völlig darauf.
Aiki-jo Training
Aiki-jo Training kann helfen Fehler im waffenlosen Aikido-Training aufzudecken und bietet so eine Möglichkeit die Prinzipien des Aikido in verschiedenen Situationen anzuwenden und anzupassen. Saito Sensei katalogisierte drei Zusammenstellungen von Techniken. Die Erste besteht aus den 20 Jo Suburi (20 Grundübungen für den generellen Umgang mit dem Jo), die Zweite bezieht sich auf die zehn Kumijo (Partnerübungen) und die Dritte besteht aus zwei Kata Formen. Einige Dojos üben auch Jiyu-Waza bewaffnet mit Jo (freie Technik gegen einen frei angreifenden Jo; ohne festgelegten Angriff oder vorgegebene Verteidigungstechnik, quasi eine Form des Randori bei der ein Uke einen Jo als Waffe führt).
Suburi
Suburi (素振り:すぶり), ein Wort das wortwörtlich übersetzt in diesem Zusammenhang soviel bedeutet wie „Elementar Schwingen“, wird benutzt um auf die 20 Grundübungen des Aiki-jo zu verweisen, die von Saito Sensei aus den Formen und Partner Übungen separiert wurden die O-Sensei zeigte. Diese wurden von Ihm noch in fünf Untergruppen unterteilt, damit man sie sich beim Üben leichter merken und besser auseinander halten kann.
20 Jo Suburi:
Kumijō
Die Partnerübungen im Aiki-jo werden Kumijo (jap. 組杖) genannt. Das bedeutet soviel wie: „kreuzen/ aufeinandertreffen von Stöcken/ Knüppeln“. Es gibt 10 Kumijo in Saito Senseis Lehrplan. Lt. Saito Sensei: "O-Sensei überlieferte uns die 31Jo-Kata und viele andere Jo-Bewegungen. Dennoch lernte ich nie vollständige Kumijó Übungen von O-Sensei. Er zeigte mir Teilbewegungen von Zeit zu Zeit. Ich kombinierte sie in Kumijó zu Demonstrationszwecken." Ursprünglich zeigte O-Sensei verschiedenste Partnerübungen und Techniken mit dem Jo, und Saito Sensei katalogisierte sie in eine getrennte Abfolge und entwickelte insgesamt sieben solcher Partnerübungen. Im Jahr 1983 wurde Saito Sensei eine wichtige Budo-Auszeichnung verliehen, zu diesem Anlass wurde er gebeten eine Aikido Demonstration in der Budokan Halle in Tokyo zu geben. Also entwickelte er zu dieser Zeit kurzerhand 3 Weitere und erhöhte somit auf insgesamt 10 Kumijo.
Kumijo 1-5:
Kumijo 6-10:
Kata
Kata bedeutet einfach „Formen“, diese werden typischerweise ohne Partner ausgeführt. Geübt wird hier eine festgelegte Abfolge von Techniken gegen einen imaginären Angreifer. Im Aiki-jo Lehrplan gibt es drei primäre Katas. Die Erste heisst „Sanjuichi no jo Kata“ (31 Jo Kata), und wurde von O-Sensei gelehrt. Die Zweite heisst „Jusan no jo Kata“ (13 Jo Kata) und die Dritte heisst „Roku no jo Kata“ (6 Jo Kata). Zur 31 Jo Kata von O-Sensei wurde von Saito Sensei noch eine Kumijo (31 Kumijo) entwickelt, die 31 Jo Kata mit Gegenpart. Damit sie mit einem "echten" Partner geübt werden kann. Gleiches gilt für die 13 Jo Kata.
31 Jo Kata:
31 Kumijo:
13 Jo Kata:
13 Jo Awase:
Ken Tai Jo:
Saito Sensei demonstriert Ken Tai Jo mit Pat Hendricks
Erklärung von Saito Morihiro Sensei, 9. Dan, über den wichtigen Zusammenhang zwischen Taijutsu und Bukiwaza:
"Vor dem Krieg übte und studierte der Begründer üblicherweise Waffen nur für sich selbst und unterrichtete diese Techniken nicht seinen Schülern. Es war in der Iwama-Zeit, hauptsächlich als nur noch O-Sensei und ich übrig waren, fing er an, Waffen zu unterrichten.
Zu dem Zeitpunkt, als ich es gelernt hatte, war die 31-jo-Kata bereits abgeschlossen, aber als Koichi Tohei Sensei [derzeit Chef von Shinshin Toitsu Aikido] in Iwama war zum Üben, war sie noch nicht vollkommen perfektioniert. Was er gelernt hat, unterscheidet sich von dem, was ich gelernt habe, wahrscheinlich weil O-Senseis Unterrichtsweise noch nicht vollständig entwickelt war. Als ich unter O-Sensei lernte, umfasste seine Lehre alle Waffentechniken einschließlich der Kumitachi. Irgendwann war in einer Phase ausser mir niemand mehr in Iwama, also trainierte ich alleine mit O-Sensei. Sein Unterricht wurde allmählich durchdachter…
Das Aikido, das ich gelernt habe, bestand sowohl aus Taijutsu als auch aus Waffentechniken. Wir können jede Art von Waffe verwenden, aber hauptsächlich verwendeten wir Ken und Jo. Dies ist die einzige Erklärung, die ich Ihnen geben kann. Der Gründer erklärte Aikido je nach Zeitraum und Geisteszustand aus verschiedenen Blickwinkeln. Er sagte, Aikido sei Taijutsu, das die Schwertprinzipien beinhaltet. Ich glaube also, dass Aiki-Ken und Aiki-Jo Hanmi-Ken und Hanmi-Jo entsprechen. In anderen Worten: Waffentechniken werden in der Form von Taijutsu ausgedrückt, und befähigen mich in die Struktur eines Gegners einzudringen und ihn werfen zu können.
Die waffenbasierten Techniken im Taijutsu ermöglichen es uns, einen Gegner anzugreifen und ihn zu werfen. Ich denke, dass Taijutsu und Waffentechniken eine Beziehung haben sollten, die weder zu nah noch zu fern ist. Im Iwama-Dojo unterrichte ich nur einmal in der Woche Waffen. Ich lege also den Schwerpunkt auf Taijutsu. Aber ich denke, es ist meine Pflicht, als einer, der direkt vom Gründer unterrichtet wurde, Ken und Jo bei meinen Schülern zu unterrichten und den traditionellen Unterricht aufrechtzuerhalten, den der Gründer in Iwama hinterlassen hat."
Saito Morihiro, 9. Dan